Im Eingangsbeitrag kam bereits die Frage auf, wie eine längerfristige Versorgung eines schwer verletzten oder schwer erkrankten Mitglieds unserer Gruppe/Familie bewerkstelligt werden kann.
Dazu stellt sich noch die Frage: Wie schnell muss ich an die weitere Versorgung denken?
Die Antwort darauf ist verhältnismäßig einfach:
- Würde der Verletzte/Kranke normalerweise durch einen Arzt oder ein Krankenhaus versorgt werden müssen?
- Würde der Verletzte/Kranke normalerweise in einem Krankenhaus stationär aufgenommen werden?
- Würde der Verletzte/Kranke normalerweise sogar vom Rettungsdienst abgeholt und ins Krankenhaus gebracht?
Wenn eine dieser Fragen mit "JA" beantwortet werden kann, würde ich SOFORT nach der Erstversorgung damit beginnen, die weitere Versorgung zu planen.
Für die allermeisten Menschen sind hier die "10 Essential Prolonged Field Care Capabilities" (10 Capabilities PFC) aus dem militärischen Bereich nicht anwendbar, da schlicht Ausrüstung und Ausbildung fehlt - selbst bei entsprechend ausgebildetem Personal.
Deshalb habe ich im folgenden Beitrag versucht, die eben genannten essentiellen Versorgungsbestandteile auf eine zivile, ressourcenlimitierte Umgebung abzustimmen.
Daraus ergeben sich unsere "10 Bestandteile der langfristigen Versorgung von Verletzten und Kranken":
- ÜBERWACHUNG
Die Möglichkeit, den Patienten und seine Vitalfunktionen zu überwachen. Leicht für Laien messbar wären bspw. Puls, Atemfrequenz und Temperatur. Auch die Messung des Blutdrucks, die Untersuchung der Pupillen und das Mitschreiben der Urinmengen sind für die meisten Laien mit etwas Vorbereitung und einfachen medizinischen Hilfsmitteln zu bewerkstelligen.
Medizinisch entsprechend ausgebildet lassen sich bei entsprechender Ausstattung natürlich auch Atemgeräusche, ein 3-Kanal-EKG, Pulsoximetrie u.ä. beobachten.
Wichtig ist hier auch IMMER, dass die Beobachtungen dokumentiert werden müssen, damit man bspw. erkennt, ob der Patient langsam Fieber bekommt oder der Blutdruck über Stunden hinweg langsam sinkt. - VERSORGUNG MIT FLÜSSIGKEIT
Je nach Krankheits- oder Verletzungsbild hat der Patient ggf. Flüssigkeit verloren. Diese sollte alsbald ersetzt werden. Den allermeisten unter uns hier wird hierbei wohl nur das "normale" Trinken von Flüssigkeit durch den wachen Patienten selbst zur Verfügung stehen. Voraussetzung hierfür sind Trinkwasser einwandfreier Qualität und ggf. Rehydrationslösungen.
Medizinisch entsprechend ausgebildet ist auch die Versorgung des Patienten mit Infusionen eine Möglichkeit. - SICHERSTELLUNG DER ATMUNG
Die Sicherstellung der Atmung ist einer der zentralen Punkte. Hier lassen sich durch Laien abgesehen von der richtigen Lagerung des Patienten und der Sicherung des Atemwegs (siehe nächsten Punkt) nicht viele Hilfestellungen leisten.
Medizinisch entsprechend ausgebildet kann hier z.B. ein Beatmungsbeutel zum Einsatz kommen.
Auch die Verletzung von Verletzungen des Brustkorbs - an diesem Punkt hoffentlich schon geschehen - wäre hier wichtig. - SICHERN DES ATEMWEGES
Hier wird insbesondere das Fortführen der bereits begonnen Maßnahmen wichtig sein - bspw. die weitere Lagerung in der stabilen Seitenlage.
Durch medizinisch geschulte Helfer können hier bspw. Güdel- oder Wendeltuben zum Einsatz kommen. Auch die Verwendung einer Sekretabsaugpumpe kann hier von Vorteil sein, falls vorhanden. - SCHMERZTHERAPIE
Eine ausreichende Schmerztherapie ist in vielerlei Hinsicht wichtig für den Patienten. Sie steigert die Moral des Patienten und der Gruppe, ist ein großes Zeichen von Fürsorge und nicht zuletzt Menschenrecht. Auch ist der Patient bei ausreichender Schmerztherapie oft wieder schneller "einsatzfähig".
Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Schmerztherapie vor und nach schmerzhaften Eingriffen - bspw dem Reinigen von Wunden - gelegt werden.
Auch gilt es hier zu beachten, dass es sowohl medikamentöse Möglichkeiten (hier ist die gut sortierte Haus- und Preppingapotheke von Vorteil) als auch nicht-medikamentöse Möglichkeiten der Schmerztherapie gibt (dazu zählen bspw. die Schienung von Brüchen oder das Abdecken von Verbrennungen). - KÖRPERLICHE UNTERSUCHUNG UND DIAGNOSTIK
Hier liegt eine Überschneidung mit dem ersten Punkt vor - der Patient wird entkleidet, gründlich untersucht, die Vitalparameter bestimmt, soweit das möglich ist.
Auch kann es hier zum Einsatz von Schnelltests kommen - bekannt sind hier derzeit die Antigentests für COVID-19. Aber auch einfache Urinteststreifen können hier schon große diagnostische Erkenntnisse bringen. - KRANKENPFLEGE UND HYGIENE
Ein sehr wichtiger, wenn auch nicht so "cooler" Punkt der langfristigen Versorgung ist die Krankenpflege. Der Patient braucht Wasser und Nahrung, er möchte unterhalten werden, Zuwendung erfahren. Ausscheidungen müssen beseitigt werden, der Patient muss gewaschen werden. Er braucht vielleicht nach einer fiebrigen Nacht frisches Bettzeug, wenn das möglich ist. Auch einfache körperliche Betätigung wie das Durchbewegen von Gelenken und das leichte Dehnen von Armen und Beinen können einen längeren Aufenthalt im Bett viel erträglicher machen. Hier gilt es körperliche, psychische und spirituelle Bedürfnisse des Patienten so gut wie möglich zu befriedigen. - WUNDVERSORGUNG
Der erste Verband, den der Patient erhält, wird nicht der letzte sein. Verbände müssen gewechselt, Wunden gereinigt werden. Je nach Ausbildungsstand kann ein Wundverschluss in Betracht gezogen werden. Regelmäßige Verbandwechsel tragen dazu bei, dass Infektionen möglichst vermieden werden.
All das ist zeit- und materialintensiv und sollte im Vorhinein bedacht werden. Denn wer hat wirklich genug Verbandsmaterial zu Hause, um einen Verband zwei Mal pro Tag für 14 Tage zu wechseln, bis eine tiefe Wunde abgeheilt ist? - NACHSCHLAGEN UND NACHFRAGEN
Selbst medizinisch geschultes oder ausgebildetes Personal kann und wird nicht immer alles wissen. Umso wichtiger ist es, Möglichkeiten zu kennen, wie man aufkommende Fragen beantworten kann. Das kann einerseits in Form von Literatur funktionieren, andererseit schadet es nicht, medizinische Profis in der näheren Umgebung zu kennen, um diese ggf. hinzuziehen zu können, wenn nötig und möglich. - VORBEREITUNG (UND GGF. DURCHFÜHRUNG) EINES TRANSPORTS DES PATIENTEN
Nicht immer wird ein voll ausgestatteter Rettungswagen das endgültige Transportmittel zur weiteren Versorgung darstellen. Es kann das Verbringen des Patienten zum Arzt oder in ein Krankenhaus mit einer Vielzahl von Mitteln erwogen werden - vom eigenen PKW bis zum Bollerwagen. Im Idealfall stehen dazu einfache Hilfsmittel wie Rettungstücher zur Verfügung, um den Patienten möglichst sicher und komfortabel transportieren zu können.
WICHTIG!
DIE OBEN AUFGESTELLTE LISTE SOLL ERST (!) NACH (!) DER NORMALEN ERSTVERSORGUNG DES PATIENTEN BEACHTET WERDEN!
Dieser Beitrag stellt in erster Linie einmal einen Überblick dar, woran unter anderem (ohne Anspruch auf Vollständigkeit ) gedacht werden muss.
Ich werde mich in weiteren Beiträgen den jeweiligen Punkten einzeln widmen und mehr Details herausarbeiten.
Diese Beitragsreihe hat nicht unbedingt das Ziel, irgendeine Form von Erste Hilfe Kurs o.ä. zu ersetzen - hier geht es in erster Linie um ein Umdenken und ein Weiterdenken der medizinischen Versorgung in Krisen. All die genannten Punkte sind gleich wichtig, egal ob man selbst Arzt oder medizinischer Laie ist. Der Umfang der Maßnahmen, mit denen man dem Patienten helfen kann, wird natürlich abweichen, aber das Grundprinzip bleibt dennoch weitgehend das gleiche.
Wie immer freue ich mich über Kommentare, Fragen, eigene Gedanken, ...
Bleibts gsund!
justme
Kurz dazu, wie ich auf diese Beitragsreihe gekommen bin - ich studiere derzeit Remote Paramedic Practice und beschäftige mich dabei hauptsächlich mit der Versorgung von Patienten in abgelegenen, ressourcenlimitierten Gegenden. Die Parallelen zur Versorgung nach einer Vielzahl von Zwischenfällen und kleineren oder größeren Katastrophenfällen war mir dabei von Anfang an bewusst. Nach Abschluss meines Moduls "Prolonged Field Care" möchte ich nun mein Wissen und meine Eindrücke bisher mit euch teilen und auf den Bedarf eines "Krisenvorsorgers" übersetzen.