Als leidenschaftlicher Wildcamper findet sich in meinem Depot viel Outoorgear, dies erklärt wohl mein Interesse an Fluchtrucksäcken. Kann diese problemlos auf unterschiedliche Szenarien od. jahreszeitliche Erfordernisse 'optimieren', die Erstellung von Packlisten hat sich also zu einem Hobby entwickelt. Mein INCH-Evakuierungsequipment auf Basis üblicher Trekkingausrüstung wurde hier im Forum bereits detailliert vorgestellt, siehe: Link. In dem Faden entwickelte sich rasch eine Diskussion rund um ein Ausweichen im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen/ Flucht aus einem Kampfgebiet mitsamt dem ein oder anderen alternativen Ausrüstungsvorschlag. Sichtete inzwischen div. Ausrüstungslisten - nicht nur hier im Forum sondern auch in einschlägiger (Prepper-)Literatur oder bei szenebekannten Youtubern. Auffällig ist dass in jedem Set-Up gehäuft Ausrüstung aus der militärisch-taktischen Ecke auftaucht, ganz egal ob nun Gear für EDC-, GHB-, BOB- oder eben INCH-Fluchtrucksäcke vorgestellt wurde. Im Anbetracht dieses 'Quasi-Standards' drängte sich die Frage auf ob dies unter allen Umständen ideal ist oder situationsbedingt Nachteile existieren?
Zur Definition einer Fluchtsituation: Mit 'Flucht' ist kein Umzug in ein Steuerparadies gemeint oder eine Übersiedlung ins Nachbarland um sich vor Masseverwalter/ Gerichtsvollzieher/ wütender Exfrau zu verstecken bzw. Strafverfolgungsbehörden zu entkommen! Eine Flucht wird angetreten wenn eine unvorhersehbare (Natur-)Katastrophe wie z.B. Flut, Vulkanausbruch, Erdbeben oder Großschadensereignisse wie ein Reaktorunfall mit freigesetzter Radioaktivität zum Verlassen seines Lebensbereiches für einen bestimmten Zeitabschnitt oder sogar für immer zwingt. Die Bezeichnung 'Evakuierung' wäre für zuvor genannte Szenarien tatsächlich zutreffender. Der größte Auslöser für Fluchtbewegungen waren seit dem letzten Weltkrieg nicht etwa Dürre und Hunger sondern abermals kriegerische Auseindersetzungen - meist sind sogar hunderttausende Menschen gleichzeitig unterwegs und dabei werden nicht nur die unmittelbaren Kampfgebiete verlassen.
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Im Februar 2022 startete Russland den Überfall auf die Ukraine, seit diesem einschneidenden Ereignis verfolgen sicherlich einige den Kriegsverlauf aufmerksam und werden vielleicht sogar versuchen ihre Vorsorgekonzepte zu adaptieren. Bei mir scheint der Zeitpunkt nun günstig wo die Beobachterrolle verlassen und mein BOB- oder INCH-Packs nüchtern beleuchtet werden soll: Wäre das Set-Up adäquat für ein Kriegsszenario oder sollen allfällige Adaptierungen vorgenommen werden? In meinen Packlisten ist überwiegend Equipment zivilen Ursprungs zu finden, nicht nur weil's vorhanden ist sondern weil ich dies für diesen Zweck als vernünftig ansehe. Natürlich drängt sich die Frage auf ob sich das militärisch-taktische Gear welches sich mehrheitlich bei anderen findet zweckmäßiger für eine Flucht aus einem Kriegsgebiet wäre oder event. sogar der Schlüssel für eine erfolgreiche Absetzung darstellt und anders herum: Welche 'Krücken' halst man man sich damit auf?
Diese Fragestellung muss erstmal jeder für sich beantworten, möchte dennoch etwas weiter ausholen um über den Tellerrand zu schauen: Ein Gegenstand wandert in den Rucksack und wird mitgenomen um einen/ bestenfalls sogar mehrere Zwecke zu erfüllen. Um die Funktionalität 'Nässeschutz' zu bedienen ist es prinzipiell egal ob ein Poncho in signalorange oder taktischem Camomuster daher kommt solange das Teil wasserdicht ist und den Regen abhält. Einem aussenstehenden Dritten ist die Farbe nicht mehr egal den sie macht aus dem Träger was und weist ihm eine Schublade oder Rolle zu, d.h. ein oranger Poncho wird üblicherweise einer Zivilperson, ein Camoponcho dem Militär zugeordnet. Ob dieser Ponchoträger auch tatsächlich aktiver Soldat in den Streitkräften ist spielt vorerst keine Rolle, es geht um den Ersteindruck der innerhalb von 1-2 Sekunden fixiert wird!
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Spinnen wir diesen Gedanken weiter und betrachten ihn einmal ganz bewußt ohne unsere filternde Prepperbrille, d.h. wir gehen davon aus dass wir durch die hundertfachen Wiederholungen in diversen einschlägigen Quellen bereits 'betriebsblind' sind. Nehmen wir an jemand ohne unsere Insiderkenntnisse wäre ein Sodat, könnte eine Beispielsituation in etwa so wie unterhalb ablaufen?
Eine Person in militärfarbener Bekleidung mit großem MOLLE-Rucksack und Springerstiefeln wird in einem Kriegsgebiet z.B. von einen regulären Soldaten entdeckt. Dieser identifiziert anhand MOLLE-Rucki u. Kampfstiefel das Gegenüber als Militärangehörigen und kann er die Kleidung nicht sofort der Uniform seiner eigenen Seite zuordnen wird er womöglich einen Feind erkennen. Hierfür müssen nichtmal Waffen sichtbar sein, der Ersteindruck genügt! Unser Beispielsoldat geht logischwerweise davon aus dass eine militärisch wirkende Person auch entsprechend militärisch ausgebildet ist und für ihn und seine Kameraden eine potentielle Gefahr darstellt. In div. Kriegsgebieten genügen solche Eindrücke dass Sturmgewehre entsichert werden und Kugeln mitsamt Mörsergranaten fliegen um ein vermeintlichen Gegner sofort auszuschalten! Ob in einer kampfbedingten Stresssituation jemand auf die Idee dass da event. ein Prepper mit seinem tacticoolem INCH-Bag vorbei zieht der lediglich ein Kriegsgebiet rasch hinter sich lassen will?
Von Kriegsschauplätzen oder aus Gebieten wo sporadisch bewaffnete Konflikte aufflammen ist bekannt dass Personen im wehrfähigen Alter für Kämpfer:Innen gehalten werden was deren Risiken für Gesundheit oder Leben beträchtlich erhöht. Sie vermeiden einen militärischen Eindruck abzugeben, zivile Outfits stehen hoch im Kurs. Unterhalb einige fiktive Planspielsituationen welche auf einer Flucht nicht ausgesschlossen werden können:
1/ 'Ab durch den Wald' ist bei vielen Thema Nr. 1 wenn es um Flucht geht. Nun ist Wald in vielen deutschsprachigen Gegenden eine Mangelerscheinung, im flachen Osten Österreichs trifft man eher auf riesige Felder die bestenfalls von schmalen Windschutzgürteln u. Baumreihen gesäumt werden als auf große zusammenhängende Waldflächen. Geländemäßig ähnelt dies sogar der Ostukraine und dort werden rare Flecken mit Baumbewuchs bevorzugt von Truppen zur Deckung genutzt. Auch 20-30km hinter den eigentlichen Kampflinien sind z.B. Artillieriestellungen, versteckte Depots od. Feldlager in Bereitstellungsräumen zu finden. Um sie vor allfälliger Feindaufklärung zu verbergen sind solche Spots gut abgetarnt. Entlang der Marschrouten besteht die Gefahr dass man Stellungen uvm. übersieht und jederzeit schwer bewaffneten Soldaten direkt vor die Füße läuft was ein abruptes Fluchtende bedeutet. Als Soldaten-Look-A-Like ist nicht auszuschließen dass man aus der Distanz aufs Korn genommen und beschossen wird und dies nicht nur wenn offene Flächen zu überqueren sind. Um einer Entdeckung vorzubeugen wird man event. versuchen Schattenzonen zur Fortbewegung ausnutzen od. alle 30-50 Meter kurz anhalten um zu lauschen und die Umgebung zu scannen. Ein Beobachter wird in einem solchen Verhaltensmuster militärisches Vorgehen erkennen was ihn bestärkt dass er es mit einem potentiell feindlich gesinnten Soldaten zu tun hat. Selbiges gilt für's Camp - ein tarnfarbenes Tarp + Biwaksack in camo welches zusätzlich mit einem Tarnnetz versehen ist wird jedem Armeeangehörigen signalisieren dass was militärisches aufgestöbert wurde und Personal mit geschultem Blick oder erfahrenen Drohnenpiloten ist zuzutrauen dass sie auch ein scheinbar perfekt getarntes Biwak entdecken.
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2/ Weit im Hinterland gibt es Objekte welche bewacht od. überwacht werden, sei es Verkehrsknotenpunkte u. Brücken, Bahnanlagen oder kritische Infrastruktur wie Trafos, Kraft- u. Umspannwerke, Staudämme, Sender, uvm. Solche Punkte findet man nicht immer auf Karten, in der Ukraine werden z.B. zivile Hallen, private Garagen und sogar abgelegene Schuppen zum Einstellen v. gepanzerten Fahrzeugen, als Munitionslager oder Reparaturwerkstätten benutzt wo ständig Militärpersonal präsent ist. Strenge Bewachung heißt nicht unbedingt dass ein Posten mit umgehängtem Gewehr davor steht, der Beobachter kann auch in einiger Entfernung versteckt in einer Hecke liegen oder im nächsten Gebäude sitzen wobei die vermeintliche Fernsehantenne am Dach tatsächlich die Antenne des Funkgerätes darstellt womit bei jeder verdächtigen Bewegung direkt Verstärkung herbei gerufen wird. Selbstverständlich sind in jedem Krieg Checkpoints quer übers Land eingerichtet, gerne so dass man sie nicht schon von weitem sieht z.B. hinter engen Kurven od. direkt in bebautem Gebiet. Bei Personenkontrollen an Sperren oder durch mobile Patroullien gilt so wie bei bewachten Objekten: Schlägt man in militärischem Outfit auf ist einem erhöhte Aufmerksamkeit gewiß! Dass bie Kontrollen Ausrüstung beschlagnahmt oder spontan den Besitzer wechselt ist dabei das kleinere Übel. Als potentielle Gefahr betrachtet und direkt 'aus dem Verkehr gezogen' und für Nachforschungen zur eigenen Person für längere Zeit festgehalten zu werden ist wahrscheinlicher. Ein frühzeitiges verlassen eines Kampfgebietes hat Priorität, je länger ein Krieg dauert desto größer wird die Gefahr welche von Blindgängern, Minen oder Sprengfallen ausgeht. Die Ukraine ist mittlerweile so stark vermint wie kein Kriegsschauplatz je zuvor was eine Flucht querfeldein in vielen Gebieten zu einem Selbstmordkomando macht.