Gedankenspiel: Chemieunfall

  • Szenario:

    Es ist Sommer und ein Chemieunfall findet in einem Kühlhaus in unmittelbarer Nähe statt. Aus einer Kühlanlage treten große Mengen Ammoniak aus. Ihr werdet dadurch aufmerksam als plötzlich ein stechender Geruch in eurer Wohnung/eurem Haus auftritt. Da es an diesem Tag sehr heiß ist habt ihr die Fenster gekippt.

    Wie reagiert ihr? Was sind eure nächsten Schritte?

  • 1) Fenster schliessen
    2) Feuerwehr verständigen
    3) Warmwasser aufdrehen
    4) Lüftung im WC abdichten
    5) Radio/Fernseher aufdrehen
    6) Schutzmaske herrichten
    7) BoB streicheln

    Ammoniak kann man bereits in kleinsten Mengen gut riechen. Je nach Situation dann abwarten oder die Wohnung verlassen, das kommt auf die Rettungskräft und die Durchsagen an.

    Warum das Warmwasser? Meine Fenster und Türen sind dicht, nur im Kamin könnte noch Gas reinkommen. Und mit dem Warmwasser erzeuge ich durch die Therme einen Überdruck im Kamin.
    Ich habe mir schon Überlegt mir eine starke Luftpumpe mit Vorfilter zu besorgen um damit einen Überdruck in der Wohnung zu erzeugen. Die Filter gibt es aber nur für Pollen (und damit auch für radioaktiven Staub), aber nicht für Gase. Zumindest in meiner kompakten Variante ohne 2 Tonnen Sandfilter :-) Und damit pausiert das Projekt gerade...

    Ich bin lieber auf etwas vorbereitet was nie passiert als nachher überrascht da zu stehen.

  • Die Maßnahmen von Don Pedro sind schon sehr gut! Es gab im Vorjahr einen größeren Ammoniakaustritt mit mehr als 50 Verletzten in Wien.

    Da Ammoniak schwerer als die Umgebungsluft ist, würde ich noch dazu raten (sofern möglich) einen höheren Ort im Haus/der Wohnung aufzusuchen.

    Ansonsten ist das wichtigste: PPM (parts per million) verringern! Und das geht am besten mit den vom Vorschreiber bereits getroffenen Maßnahmen! Ein paar qm Abdeckfolie mit Gewebeband zum schnellen Abdichten von Fenstern und Co. sollten in einem Haushalt mit Nähe zu entsprechender Industrie oder Transportrouten sowieso Pflicht sein.

    viribus unitis - acta non verba

  • Also ich würd die Fenster schließen, meinen Bob schnappen und das Weite suchen. Wenn die Schule im Gefahrenbereich liegt würd ich die Kinder abholen und meinen Mann anrufen um sich mit ihm abzusprechen.

    [team] Wenn wir unsere Waffen zu Pflugscharen verarbeiten, werden wir irgendwann für die pflügen, die das nicht gemacht haben.

  • ich blende eure Vorgangsweisen mal aus, einiges davon hätte ich nämlich nicht gemacht (weil nicht gewußt bzw schon mal gewußt und wieder vergessen)

    - Fenster und Türen schließen
    - Fenster, Türen, Lüftungen, Kaminklappe, Dunstabzug in der Küche mit Malerfolie und Klebeband abdichten
    - Radio und Fernseher einschalten
    - PC einschalten und schnell googeln "Ammoniak Gegenmaßnahmen". Treffer u.a.: klick
    - infolge des Ergoogelten keine Lichtschalter mehr betätigen, Wasser in der Dusche aufdrehen. wäre ich ebenerdig zuhaus, würde ich mich auf den Tisch bzw die Waschmaschine setzen, also erhöht

    wäre ich in der Stadt unterwegs: nicht der Nase nach, sondern entgegen der Nase flüchten. weg vom Gestank.

    liebe Grüße, Betula


    falls die Welt untergeht, muß noch lange nicht die Welt untergehen.

  • Also die Antworten bisher würden auch meine Vorstellung treffen.

    Mal ne generelle Frage an eventuelle fachleute hier bei uns:

    - Sind chemische Substanzen die bei einem derartigen Unfall austreten können eigentlich im grossen und ganzen schwerer als Luft? >> ergo generell nach oben flüchten wenn sowas passiert und man unterwegs ist?

    "Die Demokratie ist nicht die beste Regierungsform, sie ist nur als einziges übriggeblieben!"

  • Pedro, aber war nicht Ammoniak, wenn er sich an Wasserdampf bindet, schwerer als Luft?

    liebe Grüße, Betula


    falls die Welt untergeht, muß noch lange nicht die Welt untergehen.

  • Ammoniak ist schwerer als Luft sobald er nicht mehr als Reinstoff vorliegt (was bei einem Austritt ja der Fall ist). Das hat etwas mit der Luftfeuchtigkeit an sich zu tun, muss gar kein Wasserdampf sein.

    Deshalb: höhere Räume, wenn möglich aufsuchen.
    Die angesprochene EX Gefahr ist erst bei einer Konzentration des Stoffes gegeben, in der dir eine Explosion nichts mehr ausmachen würde, da du das schon lange nicht mehr mitbekommen würdest (ausser unter schwerem Atemschutz). Deswegen ist das nur für die Spezialkräfte mit Schutzausrüstung (Feuerwehr) relevant.

    viribus unitis - acta non verba

  • @Scavenger bei umgebungsdruck/temp. ist 1 mol gas 22,4Liter ammoniak(NH3) 17g/mol -> deutlich leichter als luft ( ca. 32g/mol O2 und ca. 28g/mol N2) und in der luftfeuchtigkeit gelöst NH4OH 35g/mol etwas schwerer als luft aber nicht genug mit merkbar am boden zu bleiben.

    ein bisschen wind würde es in der luft gut verteilen, die höhe im raum wird eher mehr NH3 enthalten.

    die höhe sollte man UNBEDINGT aufsuchen bei CHLOR unfällen

    Gross / klein-schreibung ist ein luxus!

  • Zitat von Karkoul im Beitrag #11
    scavenger bei umgebungsdruck/temp. ist 1 mol gas 22,4Liter ammoniak(NH3) 17g/mol -> deutlich leichter als luft ( ca. 32g/mol O2 und ca. 28g/mol N2) und in der luftfeuchtigkeit gelöst NH4OH 35g/mol etwas schwerer als luft aber nicht genug mit merkbar am boden zu bleiben.

    ein bisschen wind würde es in der luft gut verteilen, die höhe im raum wird eher mehr NH3 enthalten.

    die höhe sollte man UNBEDINGT aufsuchen bei CHLOR unfällen



    Stimmt für den Laborwert des reinen Stoffes sicher.

    Im Realen Einsatzgeschehen ist das Vorgehen der Feuerwehr bei einem größeren Stoffaustritt der, diesen mit Hydroschild und Wasserstrahl niederzuhalten um eine noch weitere Exposition des Stoffes so gut es geht zu verhindern. Durch das Hydroschild kann in ungünstigen Varianten aber auch eine Art Ammoniak Wassernebel entstehen, der definitiv schwerer als Luft ist und sich in Bodennähe aufhält und somit auch im Erdgeschoss und vor allem in Kellerwohnungen im näheren Umfeld fatal werden könnte. So auch im Merkblatt der deutschen Feuerwehren recht deutlich als Cave für die Hydroschild Einsatztaktik angemerkt, dass man Kanalisationszugänge und auch andere tiefere Zugänge im Einsatzgeschehen am besten versiegeln oder wenn nicht möglich nach Einsatzende auf jeden Fall überprüfen muss auf die Stoffkonzentration.

    Zusatz: Mit ein bisserl Wind wird sich so gut wie jedes Gas schön verteilen. ;)

    DAS reicht mir definitiv um "höhere Räumlichkeiten wenn möglich aufsuchen" auf meiner "Ammoniak Checkliste" weiterhin zu belassen. Auch wenn das Labor was anderes behauptet :)

    Mit Chlorgas hab ich so meine eigenen Erfahrungen, da schreib ich nämlich an den behördlichen Alarmplänen mit :)

    Zugegeben: diese Wohnungen würden im Einsatzfall wohl auch evakuiert werden (unter schwerem Atemschutz).

    viribus unitis - acta non verba

  • @Scavenger , @Karkoul : Es klingt als ob ihr beide eine Ahnung von dem Thema habt. Es wurde zwar schon etwas über Schutzmasken in dem Forum geschrieben, aber noch nie in einer Tiefe die vielleicht notwendig wäre. Wann reicht eine Staubmaske? Wann brauche ich FFP3? Und wann kommt der schwere Atemschutz? Und was für einen Filter brauche ich für meine Schutzmaske Dräger CDR 4500?

    Ich bin lieber auf etwas vorbereitet was nie passiert als nachher überrascht da zu stehen.

  • Man muss sich immer vor augen halten wovor man sich schützen will. Als Faustregel hat sich in meiner bisherigen Praxis eines bewährt: halte dich an die Profis: Die Feuerwehr hat in diesen Bereichen gute Schulungen und auch die Einsatzerfahrung mit gefährlichen Stoffen. Wie oft sieht man einen Feuerwerker mit FFP3 herumlaufen? Richtig: nur wenns einen Vogel runterprackt und grade wieder die Zeitungen H1N1 schreien! :-D

    FFP Schutzmasken machen prinzipiell mal nur eines: Sie filtern die Umgebungsluft, je nach Schutzklasse, mit engmaschigen Poren in denen sich Partikelchen je nach Ihrer Größe festsetzen. Dahingehend ist natürlich auch klar: gegen gelöste, gasförmige Stoffe oder gar verdrängte Umgebungsluft durch andere Gase wirds da schnell düster.
    FFP3 sind super wenns um die Vermeidung einer Ansteckung durch Bakterien oder auch Viren geht. Sie müssen per Definition (habs jetzt selber nachschlagen müssen) 99% aller Partikel die größer als 0,6µm sind filtern können.
    Beim Hausbau mit Dämmwollefasern wäre eine FFP3 also Imho etwas übertrieben, bei einer ansteckbaren Krankheit die herumgeht jedoch angebracht wenn man Kontakt mit den Erkrankten hat.

    Bei den Gesichtsmasken mit aufschraubbaren Filtern, die schon relativ viel können!, bleibt auch immer ein imho etwas fahler Beigeschmack: Wenn ich in einer Umgebung ohne Sauerstoff bin, bringt mir die nix mehr, da ich den ja (gereinigt durch den Filter) trotzdem aus der Umgebung benötige. Es gibt viele verschiedene Filtertypen, die dann die benannte Stoffgruppe auch für eine gewisse Zeit abhalten können (google einfach mal nach "Zivilschutzfilter für Gasmaske" - die decken sehr viele Gruppen ab). Aber für Sauerstoffarme Umgebungen brauchst du dann schon einen Umgebungsluftunabhängigen Atemschutz (wie der "schwere Atemschutz" gerne genannt wird) der den Sauerstoff in Form von einer eigenen Pressluftflasche mit am Rücken trägt.

    viribus unitis - acta non verba

  • Welche Gasmaske mit welchen Filtern würdet ihr mir empfehlen, um mich gegen den Großteil von ABC Notfällen zu schützen?

    Hoffe das Beste, aber sei auf das Schlimmste vorbereitet!

  • Weil es so am Rande zum Thema passt:

    Ich sehe immer mehr Touristen (meistens Asiaten) in Wien mit Mundschutz herumlaufen.
    Weiß jemand wovor sich die schützen wollen (vor Ansteckung oder vor Smog?).
    Ich könnte ja mal einen fragen, aber irgendwie machen mir die Angst.

    Wissen die vielleicht mehr, und ich bräuchte auch sowas?

  • Es geht den Asiaten um Ansteckungsgefahr. Ich kenne das aus den öffentlichen Verkehrsmitteln und belebten Plätzen im Raum Tokyo: Sehr viele Menschen sind auf engstem Raum, daher ist die Prophylaxe vor Übertragung von Bazillen über die Atemwege sinnvoll. (Noch dazu, weil dort öffentliches Schneuzen verpönt ist und viele Menschen nur die "Nase aufziehen"... es ist also mehr infektiöser Mucus in Umlauf)

  • Die in der Industrie und beim Militär verwendeten Gasmasken haben einen Schraubfilter. Davon gibt es unterschiedliche Typen.

    Ich habe 37 Jahre in der chemischen Industrie gearbeitet, da hatten wir diverse Filter, je nach Arbeitsplatz und Gefährdung. Sehr gebräuchlich war der Filter für saure Gase und Ammoniak (Säuredämpfe: Salzsäuredampf, Nitrose Gase = NO2, Schwefeldioxid = SO2, Chlorgas). Die Bezeichnung der Filter weiß ich nicht mehr und ändert sich auch mit den Jahren und Hersteller. Es gibt auch Filter für organische Gase und Dämpfe - Lösungsmittel.

    In diesen Filtern ist üblicherweise Aktivkohle drinnen, diese absorbiert die Gase/Dämpfe. Das gilt aber nur für eine geringe Konzentration, wie sie in der Umgebung von Chemie-Störfällen auftritt. Bei hoher Konzentration des Schadstoffes schlägt der Filter bald durch und ist nutzlos.

    Gegen Kohlenmonoxid gibt es einen speziellen Filter mit Katalysator, der das CO umwandelt. Das ist erforderlich, weil es von der Aktivkohle nicht aufgenommen wird.

    Die passenden Filter sind bei der örtlichen Feuerwehr zu erfragen. Da gibt es Universalfilter - empfehlenswert. Alle diese Filter schützen auch gegen Staub. Hingegen schützt ein Staubfilter (der normale Atemschutz) nicht gegen Gase.

    Es ist schon teuer, wenn man sich für alle Personen der Familie eine Gasmaske samt einigen Reservefiltern anschafft. Das war zu Zeiten des Kalten Krieges eher üblich, eventuell auch wegen einem Reaktorunfall.

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    Die Feuerwehr verwendet eher selten die Gasmasken, sie rüstens sich meist mit schwerem Atemschutz aus. Damit kann man auch in einen Raum eindringen, wo eine hohe Konzentration eines Schadstoffes, Rauchgas vorkommt oder Sauerstoff-Mangel herrscht.

    http://www.saw-arbeitsschutz.de/arbeitss...c6ssaAg--8P8HAQ

  • Zum eigentlichen Thema:

    Bei einem Störfall in einer Chemiefabrik kann es zu einem Gasaustritt kommen, bei einem Brand in einer Düngerfabrik kann diese in die Luft gehen (Explosion des Düngerhaufens - Ammonnitrat, Volldünger).

    In diesem Fall müssen die Anrainer zu Hause bleiben, dürfen die Wohnung nicht verlassen. Die Fenster sind zu schließen, eine Lüftungsanlage ist abzuschalten. Normalerweise genügt das - andernfalls müsste die Feuerwehr die Bewohner evakuieren - das kommt nur ganz selten vor. Eine Person, die dort auf der Straße unterwegs ist, muss in ein Haus flüchten.

    Wenn jemand aus der Gaswolke flüchten muss, flüchtet er seitlich aus der Gaswolke heraus, wurde hier schon erwähnt. Nicht in Windrichtung flüchten!

    In Linz sind Chemiefabriken - ehemalige Chemie Linz AG - unmittelbar neben der Stadt. Die größte potentielle Gefahr auf dem Standort ist der Ammoniak-Tank der Düngerfabrik. Der Ammoniak wird dort flüssig bei tiefen Temperaturen gelagert. Der Tank ist gut isoliert, deshalb würde auch bei einem Leck nur eine geringe Menge pro Zeiteinheit entweichen. Es wurde hier schon erwähnt, dass Ammoniak leichter als Luft ist und rasch aufsteigt. Deshalb ist in einigen Kilometern Entfernung nicht mehr viel am Boden vorhanden.

    Die nächste gefahrengeneigte Anlage ist das Chlorlager - dort ist etwa halb so viel wie in einem Chlor-Kesselwaggon Chlor flüssig gelaget. Das Chlorgas ist schwerer als Luft und breitet sich am Boden aus. Daraus ergibt sich, dass man nicht in einen Kellerraum flüchten darf, schon eher einige Stiegen hinauf.

    Ein erhebliches Risiko ist der Transport der Gefahrengüter. Wenn ein Zug entgleist, auch bei einem Zusammenstoß könnten Kesselwagoons bersten und die Chemikalie austreten. Der Straßentransport ist noch gefährlicher, aber da wird eine kleinere Menge transportiert.

    Bei großen Kühlanlagen in Industrie und Gewerbe ist oft Ammoniak als Kältemittel im Einsatz. Eine Leckage in so einer Kühlanlage kommt nicht selten vor.

  • Kennt jemand eine Quelle wo man auf einer Karte (AT, DE) Chemie- und Düngerfabriken sieht?